Jahre aus Seide (Ulrike Renk, 2020, Aufbau-Taschenbuch-Verlag)

Jahre aus Seide (Ulrike Renk, 2020, Aufbau-Taschenbuch-Verlag)

„Wenn ich einmal nicht mehr auf dieser Welt bin, dann sehen meine Enkel und Urenkel aus diesem Buch, dass meine Jugend, so schön sie mir von meinen Eltern auch gemacht wurde, doch nicht so sorgenlos war, wie [es], so hoffe ich fest, meine Nachfahren einmal haben werden.“ (Auszug aus dem Tagebuch von Ruth Meyer)

1932. Ruth Meyer lebt zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Ilse und ihren Eltern in einem schönen Haus in Krefeld, wo sie am liebsten Zeit in der benachbarten Villa des Seidenhändlers Merländer mit ihrer Freundin Rosi verbringt. Sie hat eine unbeschwerte Kindheit und Jugend, lernt das Nähen zu lieben und sie begegnet ihrer ersten großen Liebe Kurt. Die Sommer verbringt die Familie am liebsten mit der befreundeten Familie Aretz und Ruths Cousin Hans in der Sommerfrische.

Als jedoch die Nationalsozialisten an die Macht kommen, scheint es für die Familie keine Zukunft in Krefeld zu geben, denn die Meyers sind jüdisch. Mehrere befreundete Familien überlegen, auszuwandern und auch Ruth soll gegen ihren Willen von der Familie fortgehen. Doch bevor irgendjemand Entscheidungen treffen kann, kommt der Tag, an dem das Schicksal der Familie Meyer in Ruths Händen liegt …

„Jahre aus Seide“ ist der erste Teil von vier Bänden, die die Geschichte von Ruth und ihrer Familie erzählen. Die Romane basieren sowohl auf sehr ausführlichen Nachforschungen der Autorin, als auch auf Ruths Berichten aus ihrem Tagebuch, denn die Geschichte ist wahr. Die Familie Meyer lebte wirklich in Krefeld und in meinen Augen hat die Tatsache, dass all die Eindrücke, die aus Ruths Perspektive beschrieben sind, wahr sind, die Geschichte umso wertvoller und berührender gemacht. Ulrike Renk hat mich weinen, hoffen und lachen lassen, weil sie mich auf eine Reise zu einer Familie mitgenommen hat, die von einem Hochpunkt im Leben zu einem Tiefpunkt gesprungen ist und trotzdem nie gänzlich die Hoffnung verloren hat.

Die Familie Meyer war eine gut situierte jüdische Familie, was ihnen sehr vielen Punkten zum Verhängnis geworden ist, in anderen Momenten aber auch ein wenig geholfen hat. Die Romane sind die ganze Zeit aus Ruths Perspektive oder aber aus der eines allwissenden Erzählers geschrieben, wodurch man als Leser wirklich ganz nah an der echten Handlung und den echten Gefühlen dran ist. Ich habe die Romane verschlungen und geliebt, auch wenn es zwischenzeitlich echt schwierig war, das Gelesene zu verarbeiten. Es ist eine sehr tiefgründige Geschichte, die aber als leichte Lektüre verpackt ist und deshalb würde ich jedem, der an Einzelschicksalen, die es aber in tausendfacher Zahl gab, interessiert ist, empfehlen, sie Zeit für diese Romane zu nehmen.

Lena

Hättet ihr eure Familie verlassen, um zu arbeiten und mit der Mini-Hoffnung, dass ihr sie damit retten könnte? Und was habt ihr gefühlt, als Ilse und Ruth nach der Reichskristallnacht in die Friedrich-Ebert-Allee gekommen sind?

Zwei in einem Herzen (Josie Silver; 2020 – Heyne-Verlag)

Zwei in einem Herzen (Josie Silver; 2020 – Heyne-Verlag)

„Wir beide lieben Freddie. Wäre er noch da, wäre ich seine Frau, und du wärst sein bester Freund.“ (Lydia)

Kann es für jeden ein Happy End geben? Lydia Bird ist fast dreißig und seit 15 Jahren mit Freddie, der Liebe ihres Lebens, zusammen. Schon seit Schultagen haben sie einen gemeinsamen besten Freund, Jonah, der quasi mit zu ihrer kleinen Familie gehört. Doch eines Tages, an Lydias Geburtstag, passiert etwas Schreckliches und bei einem Autounfall kommt Freddie ums Leben. Jonah, der mit im Wagen saß überlebt und für ihn und Lydia folgt die schwerste Zeit ihres Lebens, in der sie den Verlust ihrer wichtigsten Person verarbeiten.

Lydia igelt sich ein und nicht einmal ihre Mutter und ihre Schwester kommen an sie ran. Sie geht nicht aus dem Haus, geschweige denn zur Arbeit, sie isst nicht viel und sie kann nicht schlafen. Irgendwann verschreibt ihr ihr Arzt Schlaftabletten, doch was er damit anrichtet konnte keiner ahnen. Denn mit Hilfe dieser Tabletten lebt Lydia in einem Paralleluniversum, wo Freddie noch am Leben ist. Alles scheint so wie immer und sie können sogar heiraten. Aber kann man wirklich ewig in zwei Welten leben? Lydia merkt, wie sehr sie das anstrengt und als sie sieht, dass auch drüben nicht alles rosig ist, fängt sie an zu grübeln, ob es vielleicht doch okay ist, wenn sie sich verändert und weiterlebt …

Als ihr alles zu viel wird, flieht sie, um ihrem normalen Alltag zu entkommen. Während dieser Zeit ist Jonah ihr eine große Hilfe und sie sind immer füreinander da. Vielleicht ist da sogar noch mehr zwischen ihnen, aber beiden ist klar, dass ihre Liebe nicht sein darf …

Josie Silver hat einen wunderbaren Roman über Liebe und Freundschaft geschrieben. Wie gerne hätte ich Lydia manchmal in den Arm genommen und ihr gesagt, dass der Schmerz erträglich wird und es okay ist, wenn sie ein neues Leben lebt. Ich fand es toll, wie die beiden Welten miteinander verbunden sind und wie Lydia in beiden zugleich lebt. Außerdem fand ich es klasse, wie die Autorin den Prozess der Trauer und den Umgang damit beschrieben hat. Ich wünsche keinem, dass er etwas so Grausames erleben muss, aber wenn doch, dann gibt dieses Buch neuen Lebensmut und es zeigt einem, dass es okay ist, wenn man sein Leben weiterlebt.

Ich kann diesen Roman alles empfehlen, die vielleicht selber Trauer zu verarbeiten haben, oder aber all denen, die gerne Geschichten über Liebe, Freundschaft und Hoffnung lesen.

Lena

Wie hättet ihr euch an Jonahs Stelle an Silvester verhalten, als er Lydia hat stehenlassen? Und glaubt ihr, ihr hättet den Mut gehabt, die Tabletten wegzuwerfen? Schreibt es in die Kommentare! 😊