Der Gesang der Flusskrebse (Delia Owens; 2018 – Heyne)

Der Gesang der Flusskrebse (Delia Owens; 2018 – Heyne)

„Kya erinnerte sich daran, dass Ma sie andauernd ermutigt hatte, die Marsch zu erkunden: ‚Geh soweit du kannst – bis dahin, wo die Flusskrebse singen.‘ “

Als der junge und sportliche Chase Andrews am Morgen des 30. Oktober 1969 tot am Fuß des alten Feuerwachturms aufgefunden wird, kocht die Gerüchteküche in dem Küstenort Barkley Cave in North Carolina. Einige behaupten, es wäre ein Unfall gewesen, andere sind sich sicher, dass es sich um einen Mord handeln muss. Eine Hauptverdächtige haben sie auch schon gefunden: das verrückte Marschmädchen.

1952 – Kya ist gerade mal sechs Jahre alt, als ihre Mutter sie, ihren Vater und ihre vier älteren Geschwister verlässt. Die Familie lebt zurückgezogen in einer kleinen Hütte im Marschland etwas außerhalb von Barkley Cave. Kya beschreibt ihren Vater als sehr wütenden Mann, was an seiner Alkoholsucht liegt. So ist es nicht verwunderlich, dass kurz nach dem Verschwinden der Mutter auch drei der älteren Geschwister das Zuhause verlassen. Selbst Jodie, Kyas Bruder, hält es mit dem Vater nicht mehr aus. Immerhin verabschiedet er sich als einziger von Kya, bevor auch er abhaut. 

Um ihren Vater nicht zu reizen, kümmert sich die nun siebenjährige Kya um den Haushalt, kauft Maisgrieß von dem wenigen Geld, das ihr Vater als Kriegsversehrter erhält, und lernt zu kochen. Schule ist nichts für sie, aber immerhin kommt sie mit ihrem Vater ganz gut zurecht und er nimmt sie mit auf seine Bootstouren durchs Marschland. Aber als Kya acht alt Jahre ist, verlässt auch ihr Vater sie. Also fängt sie an, Muscheln zu sammeln und verkauft sie an Jumpin‘, den Besitzer der örtlichen Bootstankstelle. Dessen Frau bekommt mit, dass das kleine Mädchen auf sich gestellt ist, und sammelt ab und zu Kleidung und Gebrauchsgegenstände für sie. Auf bewundernswerte Weise überlebt Kya und schafft es, komplett für sich selbst zu sorgen. Auf einer ihrer Bootstouren lernt sie Tate, einen ehemaligen Freund von Jodie, kennen, der sich mit ihr anfreundet und ihr neue Horizonte öffnet. Doch was machen die Einsamkeit und die Verachtung einer ganzen Stadt mit einem Menschen?

Der Roman ist unglaublich fesselnd! Die Atmosphäre zieht einen in den Bann und man möchte das Buch am liebsten gar nicht mehr weglegen. Die ausführlichen und bedacht formulierten Naturbeschreibungen sind bezaubernd und ästhetisch. Man sieht es quasi vor sich, wie Kya mit ihrem kleinen Boot durch die sonnenbeschienenen Lagunen schippert. Die Spannung des Romans wird dadurch aufgebaut, dass man abwechselnd von Kyas Leben und den Ermittlungen zu Chases Tod erfährt. Das Buch ist zugleich eine faszinierende Lebensgeschichte und eine unglaublich kenntnisreiche Naturschilderung, aber auch ein packender Krimi, der bis zur letzten Seite immer neue Wendungen nimmt.

Majlis

Welcher Aspekt an diesem vielfältigen Roman hat euch besonders gut gefallen? Könntet ihr euch vorstellen, für eine Weile so zu leben wie Kya?

Cinderella is dead (Kalynn Bayron; 2020 – Bloomsbury)

Cinderella is dead (Kalynn Bayron; 2020 – Bloomsbury)

Do not be silent. Raise your voice. Be a light in the dark.”

Wer kennt sie nicht, die Geschichte von Cinderella – das Mädchen, das ihren Traumprinzen gefunden hat. Wünschen wir uns nicht alle so ein glückliches Ende für uns selbst? Doch was, wenn das Glücklichsein zur Pflicht und das Happy End erzwungen wird?

Sophia lebt in Lille. Derselbe Ort, an dem vor 200 Jahren Cinderella gelebt hat. Seit deren Tod ist der Alltag der Menschen dort von Cinderellas Geschichte bestimmt. Regeln wie „jeder Haushalt muss eine Kopie von Cinderellas Geschichte Zuhause haben“ oder „der jährliche Ball ist für alle eingeladenen Mädchen verpflichtend“ klingen vielleicht harmlos und fast malerisch. Wäre da nicht die Tatsache, dass alle Mädchen ab dem Alter 16 zu dem Ball eingeladen werden und dieser einzig und allein dazu dient, die Mädchen zu verheiraten. Ab dem Moment, in dem sie „auserwählt“ werden, haben sie keine eigenen Rechte mehr. Zudem wird erwartet, dass man auf dem Ball erscheint, als hätte einen die gute Fee höchstpersönlich verzaubert, obwohl diese seit Cinderellas Verwandlung nie wieder gesehen wurde. Wer nicht angemessen festlich zum Ball erscheint oder bei seinem dritten Ball nicht erwählt wird, wird bestraft. Viele Familien, in denen der Mann das Sagen hat, sparen bereits lange vor dem 16. Geburtstag ihrer Töchter, um sie „gut“ zu verheiraten. 

Sophia findet nicht nur das System, das König Manford durchgesetzt hat, grundsätzlich furchtbar, sondern hat auch ihr ganz persönliches Problem damit: sie ist in ihre Freundin Erin verliebt, die bei dem Ball ebenfalls verheiratet werden soll. Für homosexuelle Menschen, wie Sophia, ist in Lille kein Platz, aber weglaufen ist auch keine Option. Die Grenzen werden, genau wie der Palast am Abend des Balls, streng bewacht. Trotzdem verlässt Sophia den Ball und schafft es sich vorerst im Wald zu verstecken. Dort trifft sie auf Constance – das Mädchen in den Jungsklamotten, das ihr eine ganz andere, bitterere Version von Cinderellas Geschichte erzählt. Auf der Suche nach Antworten treffen die zwei auf gut gehütete Geheimnisse, die sie dazu veranlassen einen Angriff auf König Manford zu planen. Doch was verbirgt sich hinter der Fassade des verschlossenen Königs?

Der Roman hat mir sowohl im Stil als auch inhaltlich sehr gut gefallen! Kalynn Bayron schreibt von starken Mädchen in einer fiktiven Welt. Sie vereint Themen wie Feminismus und Homosexualität und schreibt eine klassische und kitschige Geschichte neu. Ihre Beschreibungen der Landschaft und des Stadtlebens und ihr Schreibstil sind sehr anschaulich, sodass man das Gefühlt hat mit Sophia auf dem Ball zu sein oder mit Constance durch den Wald zu rennen. Ich kann das Buch allen empfehlen, die sich für Feminismus und Homosexualität interessieren und gleichzeitig gerne etwas weniger Kitsch haben.

Majlis

Würdet ihr gerne in Lille leben? Mögt ihr Erin oder Constance lieber?

Dies ist die Lösung zu Collage 15.

The gilded ones (Namina Forna; 2021 – Usborne)

The gilded ones (Namina Forna; 2021 – Usborne)

Deka wächst in Otera auf, einer fiktiven Welt, in der es für Frauen keine Rechte gibt. In Otera müssen alle Mädchen mit 16 an einem Ritual teilnehmen, bei dem ihr Blut für rein erklärt wird. Erst dann werden sie zur Frau und müssen ihr Gesicht mit einer Maske verhüllen. Doch was, wenn ihr Blut unrein ist?

Deka war schon immer Außenseiterin, denn durch die Süd-oterische Hautfarbe ihrer verstorbenen Mutter sticht sie in ihrem Dorf Irfut im Norden des Landes ziemlich heraus. Auch deshalb ist sie so nervös am Tag des Rituals. Dabei hat ihr Vater ihr tausendmal versichert, dass alles gut gehen wird. Schließlich wurde zuletzt vor mehreren Generationen ein Dämon gefunden – die Bezeichnung für Mädchen mit unreinem Blut. Doch dann wird Dekas Dorf von sogenannten „Deathshrieks“ angegriffen. Monstern, die eine große Bedrohung für ganz Otera darstellen. Und noch während Panik ausbricht, muss Deka feststellen, dass in ihren Adern goldenes und kein normal rotes Blut rinnt. Ihre Welt versinkt im Chaos. 

Sie ist also ein Dämon. Unsterblich. Zumindest fast. Sie kann nur auf eine einzige Art getötet werden – und die kennt nicht mal sie selbst. Nachdem sie mehrere Monate in einer Gefängniszelle verbringen muss, wird sie endlich von einer Abgesandten des Kaisers gerettet. Deka erfährt, dass es viel mehr unreine Mädchen in ganz Otera gibt, als sie dachte. Nun reist sie gemeinsam mit ihrer neuen Freundin Britta, auch eine gerettete Dämonin, in die Hauptstadt, um mit anderen Mädchen trainiert zu werden. Trainiert, um ihre einzigartigen neuen Kräfte zu nutzen, aber vor allem trainiert, um diese gegen die Deathshrieks zu verwenden. 

Endlich ist Deka nicht mehr fehl am Platz, inmitten all der anderen Verstoßenen. Hier können die Alaki, so werden die Mädchen jetzt genannt, endlich Freunde finden und sich zu Hause fühlen. Doch dann entdeckt sie Fähigkeiten an sich, die keine der anderen zu haben scheint. Ist sie etwa immer noch nicht an dem Ort, an den sie gehört? Nach und nach offenbart sich ihr, dass nichts ist, wie sie es immer geglaubt hat….

„Ich wollte schon immer ein Buch schreiben, das Mädchen zeigt, dass sie Heldinnen sein können und dass sie für das Richtige kämpfen können.“ – Namina Forna

Das ist ihr auch ziemlich gut gelungen. Zum Einen ist Dekas Geschichte total fesselnd und es macht Spaß, mit ihr gemeinsam nach und nach alle Puzzelteile zusammenzufügen. Zum Anderen zeigen diese Mädchen in einer fiktiven Welt, wie stark Mädchen und Frauen sein können und dass sie sich niemals von Männern unterdrücken lassen sollten. Es fiel mir am Anfang schwer, alles zu verstehen, da es viele erfundene Namen und Bezeichnungen gibt, aber da gewöhnt man sich dran. Einige Szenen sind sehr brutal, im Kontext passt das jedoch.

Ich kann den Roman sehr empfehlen. Für alle, denen das Buch gefällt – nächstes Jahr soll ein zweiter Band erscheinen! 🙂

Majlis

Die Geschichte ist ja sehr vielseitig: Feminismus, Freundschaft, Kämpfe, Geheimnisse,… Welcher Aspekt hat euch am besten gefallen, bzw. war für auch am wichtigsten?

Die deutsche Version findet ihr unter „Die Göttinen von Otera – Golden wie Blut“, die im Loewe Verlag erschienen ist.