Als die Welt zerbrach (John Boyne, 2022, Piper Verlag)

Als die Welt zerbrach (John Boyne, 2022, Piper Verlag)

„Ich habe die Macht genossen, die ich hatte, das ja. Es war ein aufregendes und beängstigendes Gefühl zugleich. Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Ich war Soldat. Und Soldaten gehorchen Befehlen. Hätte ich mich geweigert, wäre ich erschossen worden.“ (Aus ‚Als die Welt zerbrach‘)

Im Jahr 2022 lebt Gretel Fernsby in ihrer Londoner Wohnung, von wo aus sie mit ihren über neunzig Jahren ein ruhiges Leben führt. Sie hat ein neues Leben angefangen und spricht niemals über ihre Flucht aus Deutschland, den Tod ihres Bruders oder über ihren Vater, der Kommandant in einem Konzentrationslager war. Eines Tages zieht unter ihr eine junge Familie mit einem neunjährigen Sohn, Henry, ein. Gretel wird von Zeit zu Zeit Zeugin von körperlicher Gewalt in der Familie und hat diese einmalige Chance, den Jungen zu retten, wo sie es doch bei ihrem Bruder nicht konnte. Zudem könnte sie endlich ein kleines Bisschen ihre Schuld sühnen, denn auch wenn sie ihre Vergangenheit hinter sich gelassen hat, trägt sie diese seitdem mit sich herum. Doch wenn Gretel dies tun will, dann steht ihre zurückgezogene Existenz auf dem Spiel, denn sie muss offenbaren, was sie fast achtzig Jahre lang verschwiegen hat …

Dieser Roman ist die Fortsetzung des Bestsellers Der Junge im gestreiften Pyjama (John Boyne, 2007, Fischer Verlag). John Boyne erzählt, wie und ob die Tochter eines Kommandanten eines Konzentrationslagers nach dem Krieg mit der Schuld, die sie womöglich auch trägt (?) leben kann. Ja, hat sie Schuld oder nicht? Haben die jungen Soldaten Schuld, die im Konzentrationslager arbeiten mussten oder ansonsten erschossen wurden? Hat die gesamte Gesellschaft Schuld, weil sie durch alle Poren indoktriniert wurde und dadurch mal bewusst, mal unbewusst mitmachte? Der Roman ist immer aus Gretels Sicht, aber zu verschiedenen Zeiten geschrieben. Unmittelbar nach dem Krieg lebt sie mit ihrer Mutter in Paris, wo sie versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen. Mit Anfang zwanzig lebt Gretel eine Weile in Sydney, getrieben von ihrer Schuld in Europa. Doch sie kommt zurück und zieht nach London, wo sie nun als Rentnerin erzählt.

Ich fand es sehr spannend, ihre unterschiedlichen Entwicklungsstufen zu entdecken. Immer das gleiche Gefühl der Angst, entdeckt zu werden, immer der selbe Antrieb – die Schuld, aber doch jedes Mal in jeder Stadt ein anderer Umgang damit, denn es geht ums Überleben. Mehr zählt nicht …

Ich war zu Beginn ein bisschen skeptisch dem Buch gegenüber, denn kann es zu „Der Junge im gestreiften Pyjama“ eine Fortsetzung geben? Für mich endete die Geschichte unweigerlich mit dem Ende des Buches. Aber nein, ich wurde eines Besseren belehrt, denn die Zeit danach ist in diesem Roman unfassbar gut dargestellt durch die Augen einer liebenden und trauernden Schwester. Ein absolutes Muss für alle, die den ersten Teil gelesen haben!

Lena

Schon wieder ein überraschendes Ende, oder? Hättet ihr Gretel diese letzte ‚Sache‘ zugetraut?

True Love – Der magische Augenblick (Conny Redox, Tredition-Verlag, 2021)

True Love – Der magische Augenblick (Conny Redox, Tredition-Verlag, 2021)

„Lebe nach deiner Melodie. Wenn du nach den Noten anderer tanzt, kommst du aus dem Takt.“ (Stefan in True Love)

Die junge Kunsthistorikerin Carlotta verbringt ihren Sommer für einen Sommerkurs in Venedig. Dort trifft sie durch einen Zufall auf den Architekten Stefan und zwischen den beiden funkt es von dem ersten Moment an. Wortwörtlich: Liebe auf den ersten Blick. Stefan lebt auf seiner Segelyacht ‚True Love‘, während er ein Forschungsjahr in Venedig beendet, um danach eigentlich weiter nach New York zu gehen. Doch ist das nicht das einzige Problem zwischen Carlotta und Stefan, denn Carlotta hat ein Geheimnis, von dem sie Stefan auf gar keinen Fall erzählen will, das es ihr allerdings unmöglich macht, ihrem Herzen zu folgen: Sie wurde als Prinzessin geboren und sie weiß, dass ihre Familie Stefan als nicht-adeligen Ehemann nicht dulden würde. Doch wie soll sie sich nun verhalten? Kann sie ihrem Herzen folgen und trotzdem nicht mit ihrer Familie brechen?

Der Roman führt den Leser an verschiedenste Orte, sowohl physisch als auch psychisch. Ob nun in Venedig, in den Bergen Südtirols, in der Millionenstadt New York oder in Paris, der Stadt der Liebe, immer blickt der Leser durch die Augen von Carlotta oder Stefan auf die Hindernisse, die einem jungen Paar durch Traditionen in den Weg gelegt werden können. Conny Redox thematisiert das Thema der Selbstbestimmung, aber gibt auch einen Einblick in alte Adelsbräuche, von denen Carlottas Familie geprägt ist. Lebendig und alltäglich wird die Geschichte durch kurze Einblicke in die Geschichte der Kunst, die die beiden verbindet, gemacht.

„True Love“ gibt dem Leser die Möglichkeit, aus dem Alltag zu fliehen und sich eine Auszeit in Venedig zu nehmen. Dabei kann man wunderbar entspannen, jedoch beschäftigte mich beim Lesen auch, wie es wohl sein mag, einem solchen Druck ausgesetzt zu sein, wie es bei Carlotta der Fall ist und ob man sich lösen kann, wenn man doch von Geburt an von seinem Vater nichts anderes hörte als „Adel verpflichtet und Adel verbindet“. Es macht aber auch zwischendurch einfach Spaß zu lesen, sich nach Venedig auf die ‚True Love‘ zu träumen und sich einfach ein glückliches Selbst vorzustellen.

Von daher kann ich dieses Buch jedem empfehlen, der Lust auf ein wenig Romantik hat, dem Alltag mal entkommen muss und Spaß an einer leichten Lektüre findet!

Lena

Konntet ihr verstehen, dass Carlotta auf dem Schiff plötzlich solch einen Sinneswandel hatte? Und glaubt ihr, dass ihr mit eurer Familie brechen könntet, um eurem Herzen zu folgen?

Die Nachtigall (Kristin Hannah; 2019; Aufbau-Verlag)

Die Nachtigall (Kristin Hannah; 2019; Aufbau-Verlag)

„Zwei Schwestern. Die eine kämpft für die Freiheit. Die andere für die Liebe.“

Vianne und Isabelle sind zwei Schwestern, die in ihrer Kindheit keine Liebe erfahren haben und sich voneinander distanzierten. Während Vianne ihr Glück mit ihrem Ehemann Antoine gefunden hat, ist die jüngere Isabelle auf sich gestellt und weder bei ihrer Schwester noch bei ihrem Vater willkommen. Doch ein Krieg ändert alles und so stellen sich auch die beiden zu Beginn des zweiten Weltkriegs die Frage, was man tun kann, um die zu retten, die man liebt.

Vianne Mauriac lebt mit ihrer Tochter Sophie und ihrem Mann in Carriveau, einem kleinen Dorf im Loiretal. Als Antoine als Soldat einberufen wird, denkt Vianne, dass nun das Schlimmste gekommen sei. Sie ahnt zu dem Zeitpunkt noch nichts von der Judenverfolgung und von der Einquartierung Deutscher bei französischen Frauen … Zusammen mit Sophie kämpft Vianne um das bloße Überleben und muss dabei die schmerzhaften Erfahrungen des Verlustes, der Angst, der Wut und der Verzweiflung machen. Aber für die, die sie liebt, lebt sie immer weiter, egal was kommt …

Isabelle Rossignol, die in ihrer Jugend aus einer Klosterschule nach der anderen fliegt, versucht zum wiederholten Mal, bei ihrem Vater in Paris unterzukommen. Dieser jedoch stößt sie wie immer von sich und Isabelle macht sich auf den Weg zu Vianne. Auf dem Weg trifft sie auf Gaёton, einen Widerstandskämpfer, der sie dazu inspiriert, selber aktiv zu werden. Durch Zufall gerät sie an die Widerstandsgruppe um Levy, mit der sie die Fluchtroute der Nachtigall über die Pyrenäen ausarbeitet. Der Plan ist es, abgeschossene Piloten der RAF, aus Kanada oder den USA nach Spanien zu bringen – und Isabelle soll den Weg gehen …

Während des Krieges merken die Schwestern, wie wichtig die Familie ist, aber können sie in Zeiten wie diesen füreinander da sein? Kann Vianne Isabelle bei sich aufnehmen, die etwas tut, wofür sie jeden Moment erschossen werden könnte? Und hat die Liebe im Krieg eine Chance?

Ich habe diesen Roman, der im Wechsel aus der Sicht von Vianne und Isabelle geschrieben ist, mehrfach gelesen und wie beim ersten Mal, so war ich auch beim zweiten Mal noch zutiefst beeindruckt von der Courage und Bedeutung der Frauen im Zweiten Weltkrieg. Ich glaube, dass vielen häufig gar nicht so bewusst ist, was für eine wichtige Rolle die Frauen im Krieg hatten, wo die Männer alle an der Front waren. Und nicht ohne Grund wurde der weibliche Widerstand als der zäheste und gefährlichste angesehen. In diesem Roman schildert Kristin Hannah sowohl familiäre als auch moralische Konflikte, die zu Hunderten oder auch Tausenden im Krieg stattgefunden haben werden.

Im Einzelnen hat mich besonders das Durchhaltevermögen von Vianne, die für sehr viele französische Frauen unter der Herrschaft der Nazis steht, beeindruckt und wie sie trotz beinahe täglicher Rückschläge für ihre Tochter weitergelebt hat. Und auch Isabelle hat in mir den Wunsch geweckt, im Ernstfall so zu handeln wie sie. Denn dieses scheinbar so furchtlose Mädchen hat Sachen bewirkt, die keine Armee von Soldaten zustande bringen könnte.

Aber neben all diesen Punkten ist mir vor allem klar geworden, wie wichtig die Familie und die Liebe ist, denn die gibt uns Kraft, von der wir eigentlich glaubten, dass sie uns längst verlassen hat.

Lena

Könnt ihr euch besser mit Vianne oder mit Isabelle identifizieren? Warum? Und versteht ihr, dass Vianne ihre Schwester von sich stößt, als diese eigentlich dringendst Hilfe braucht? Schreibt es in die Kommentare! 😊

Bernsteinstaub (Mechthild Gläser; 2018 – Loewe)

Bernsteinstaub (Mechthild Gläser; 2018 – Loewe)

Die Zeit. Sie läuft beständig Sekunde für Sekunde, Minute für Minute, Stunde für Stunde. Unaufhaltsam schreitet sie im immer gleichen Takt voran. Oder?

Als die 16-jährige Berlinerin Ophelia anfängt, grauen Staub zu sehen, stellt sich ihr ganzes Leben auf den Kopf. 

Von ihrer Tante und ihrem Onkel wird sie mit nach Paris genommen und erfährt, dass sie einer Familie von „Zeitlosen“ entstammt. Das bedeutet, dass sie mit genügend Übung die Zeit anhalten, vor-und zurückspulen und überhaupt beeinflussen kann. Schon kurze Zeit später machen sich die drei zusammen mit Ophelias Ururgroßmutter Pippa und dem mysteriösen Leander auf den Weg nach Rom. Doch nicht auf normalem Weg, sondern über den Zeitfluss „Le temps“, der aus dem Zeitstaub besteht. In Rom befindet sich unter dem Kolosseum der Bernsteinpalast, in dem die Zeit stillsteht und den Zeitlosen der vier Bernsteinlinien innerhalb des Palasts zur Unsterblichkeit verhilft. 

Warum sie zum Bernsteinpalast reisen? Die Zeitlosen aus der ganzen Welt haben sich dort versammelt um beim nur etwa alle 300 Jahre stattfindenden Bernsteinturnier zuzusehen. Dieses ereignet sich nur dann, wenn der Herr der Zeit, der die Seelen Verstorbener ans Ende der Zeit bringt, alt wird. Um einen Nachfolger zu bestimmen, wird ein Wettkampf zwischen vier Kandidaten ausgetragen. Jede Familie entsendet einen Kandidaten.

Die erste Überraschung an diesem Abend: Ophelias Schwester Grete, die Ophelia seit zwei Jahren nicht gesehen hat, ist Kandidatin der Familie Pendulette. Die zweite noch größere Überraschung: Sybilla Cho, die Kandidatin der Octobres, ist verschwunden und der Herr der Zeit nominiert kurzerhand Ophelia. Wie soll sie das bloß schaffen? Die anderen hatten mehrere Jahre Zeit, um sich vorzubereiten, und sie bloß drei Tage. Doch will sie das Turnier überhaut gewinnen? Warum ist Grete so distanziert? Was verbirgt Leander? Und am wichtigsten: Was hat der Tod ihres Vaters damit zu tun?

Mal wieder hat mich einer von Mechtilds Gläsers‘ Fantasy-Romanen verzaubert! Wie auch schon bei „Buchspringer“ oder „Emma und das vergessene Buch“ gibt es viele Geheimnisse, die gelüftet werden wollen. Mechthild Gläser hat ein Talent dafür, uns Leser auf falsche Fährten zu locken, sodass man immer wieder überrascht wird. Nicht nur die Idee hinter dem Roman, sondern auch die Umsetzung ist toll gelungen und hat mich in ihren Bann gezogen. Ich kann den Roman allen empfehlen, die gerne mal in einer anderen Welt versinken.

Majlis

Hat euch die Idee zur Geschichte gefallen? Hat euch das Ende überrascht oder habt ihr es geahnt? Schreibt es in die Kommentare! : )

Leas Spuren (Bettina Storks; 2019 – Diana-Verlag)

Leas Spuren (Bettina Storks; 2019 – Diana-Verlag)

Wem würde es nicht ein wenig seltsam vorkommen, wenn er, als Deutscher wohlgemerkt, ein teures Apartment in Paris erben würde, sich dieses aber mit einem ihm unbekannten Franzosen teilen müsste und das Erbe an die Erfüllung einer Bedingung geknüpft wäre?

Die Stuttgarter Historikerin Marie Bergmann erhält im Herbst 2016 eine Einladung zu einer notariellen Testamentseröffnung in Paris, wo sie auf den Franzosen Nicolas Blanc, den Enkel des verstorbenen Victor Blanc, trifft. Beide zusammen erben sie eine teure Wohnung in Paris, die sie allerdings erst ihr eigen nennen dürfen, wenn sie den letzten Wunsch Victors erfüllt haben: Sie sollen ein im Zweiten Weltkrieg verloren gegangenes Gemälde wiederfinden und es seinem rechtmäßigen Besitzer zukommen lassen. Aber welche Rolle spielt Maries verstorbene Großtante Charlotte in der Geschichte?

Gemeinsam begeben sich Nicolas und Marie auf die Suche nach dem Gemälde. Als Journalist und Historikerin scheinen sie die perfekten Berufe zu haben, dennoch stoßen sie immer wieder auf Granit. Verzweifelt stöbern die beiden durch Berichte aus der Deutschen Besatzungszeit in Paris, tauchen in den systematischen Kunstraub ein und verfolgen die Wege der sogenannten „entarteten“ Kunst.

Auf ihrer Suche nach dem Mädchen im Jardin du Luxembourg stoßen Marie und Nicolas auch auf die Vergangenheit, die ihre Familien verbindet. Die Frage, was der Franzose Victor zur Zeit des Zweiten Weltkrieges mit der Deutschen Charlotte zu tun hatte, beschäftigt sie mindestens ebenso sehr wie das Gemälde. Und warum spricht Maries Großmutter nicht über die Zeit? Weiß sie etwas, was Marie und Nicolas einen großen Schritt voranbringen könnte? Welches Geheimnis verschweigt die Concierge? Und ist es überhaupt möglich, den rechtmäßigen Besitzer nach so langer Zeit zu finden?

Als wären das nicht schon genug Probleme, müssen sich die beiden mit der Zeit auch noch ihren wachsenden Gefühlen füreinander stellen, was die Suche nach Antworten auf Dutzende Fragen nicht gerade einfacher macht.

Die Handlung spielt sich wechselnd in der Gegenwart und der Vergangenheit ab. Abwechselnd wird die Geschichte von Marie und Nicolas sowie von Victor und Charlotte erzählt, wodurch Stück für Stück mehr Teile eines großen Puzzles freigelegt werden. Mir persönlich hat es sehr viel Spaß gemacht, zusammen mit Nicolas und Marie die Spuren ihrer Familien zu entdecken. Zudem war ich fasziniert davon, wie Bettina Storks es geschafft hat, das Thema des Kunstraubs und der Judenverfolgung mit einer Familiengeschichte und gleich zwei Liebesgeschichten zu verbinden.

Genau wie schon bei „Alles Licht, das wir nicht sehen“ ist der Wechsel zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit absolut gelungen und der Lesefluss wird dadurch nicht gestört, sondern eher gefördert.

Ich empfehle diesen Roman allen begeisterten Historikern unter den Leseratten. Aber auch Kunstliebhaber kommen auf ihre Kosten, und ein wenig Herzschmerz darf nicht fehlen! Meiner Meinung nach ist es ein rundum gelungener Roman!

Lena 

Habt ihr euch in der Gegenwart bei Marie und Nicolas oder in der Vergangenheit bei Victor und Charlotte wohler gefühlt? Welcher Person fühlt ihr euch am nächsten? Schreibt es in die Kommentare! 😊