Die Kinder von Beauvallon (Bettina Storks, Diana-Verlag, 2023)

Die Kinder von Beauvallon (Bettina Storks, Diana-Verlag, 2023)

„Il faut du courage. Encore une dernière fois. Nur noch ein letztes Mal Mut.“ (‚Die Kinder von Beauvallon‘)

1965 reist die 30-jährige Agnes, eine Radiomoderatorin aus Freiburg, in den französischen Ort Dieulefit, wo im Zweiten Weltkrieg mehr als tausend Flüchtlinge Schutz fanden. Unter den Flüchtlingen waren viele jüdische Kinder, die von den Bewohnern u.a. in der Schule Beauvallon versteckt wurden. Als der Auftrag an Agnes herangetragen wird, erinnert sie sich daran, dass ihre beste Kindheitsfreundin Lilly damals nach Frankreich deportiert wurde. Ohne groß darüber nachzudenken, stürzt sie sich in den Auftrag hinein. Und auch wenn es darum in erster Linie nicht geht, schließlich soll sie über den Mut der Dorfbewohner, den Zusammenhalt, die Résistance und die Angst vor den Nationalsozialisten berichten, hofft sie, auf ihrer Reise Spuren zu finden, wie es ihrer totgeglaubten Freundin Lilly nach der Deportation ergangen ist. Und irgendwo keimt auch ein Fünkchen Hoffnung, dass sie eventuell zu den Kindern von Beauvallon gehört haben könnte …

Wer sich auf diesem Blog schon ein bisschen umgesehen hat, weiß, dass ich die Romane von Bettina Storks regelrecht verschlinge. Nach jedem Buch sage ich: „Das ist er, mein neuer Lieblingsroman“, aber wenn mich jemand nach meinem Lieblingsbuch fragt, dann könnte ich mich doch nicht entscheiden.
Hierbei ging es mir – große Überraschung – nicht anders. Das liegt nicht daran, dass die Geschichte durch und durch besonders schön ist, eigentlich im Gegenteil. Sie ist traurig, zum Verzweifeln und macht einen wütend, denn es ist so unfassbar ungerecht und grausam, was den Juden im Zweiten Weltkrieg widerfahren ist. Aber gleichzeitig – und ja, es ist möglich – ist die Geschichte wunderschön. Davon zu lesen, wie ein Dorf zusammengehalten hat, um Flüchtlinge zu retten und das Regime aus den oberen Reihen heraus sabotiert hat, ist bewundernswert. Durch die Augen von Kindern mitzuerleben, wie ihnen ein neues Zuhause in Beauvallon aufgebaut wurde ist unfassbar rührend. Und zu verfolgen, was die Résistance in einem gewaltigen Netz geleistet hat, erfüllt mich einfach nur mit Ehrfurcht.
Die Geschichte ist wahr. Dieulefit liegt ziemlich genau zwischen Montpellier und Lyon und die Schule, Beauvallon, wird heute noch betrieben. Obwohl ich mich schon sehr viel mit der französischen Geschichte während des Zweiten Weltkrieges beschäftigt habe, war mir dieses Kapitel bis jetzt verborgen geblieben. Es fordert einiges an Mut, als Autorin so in der Vergangenheit zu graben, um einen Roman zu schreiben, der der Realität gerecht wird.
Jedoch bin ich (mal wieder) der Überzeugung, dass Bettina Storks das in Perfektion geschafft hat. Ich habe gelacht, geweint, wütend das Buch zugeschlagen und inspirierende Zitate bis zum geht nicht mehr gesammelt. Der Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit lässt den Leser aus verschiedenen Blickwinkeln auf die Geschichte schauen und ganz ehrlich, ich konnte das Buch nicht weglegen. Es war die perfekte Lektüre für eine gelungene Weihnachtspause, denn etwas Besseres zum Versinken und Abtauchen hätte ich mir nicht vorstellen können!

Lena

Ich möchte euch noch ein paar ausgewählte Textstellen geben, über die ich lange nachgedacht habe, vielleicht geht es euch ja genauso …

„Niemand fühlte sich in Dieulefit als Held, nur als Mensch, der das Richtige tat. Wir nennen das hier die Banalität des Guten.“

„Jeder muss seinen Weg finden. Jeder für sich allein, und manchmal kreuzen sich Wege, und man geht eine Weile gemeinsam, vielleicht sogar ein ganzes Leben. Man driftet weg, geht wieder aufeinander zu und lernt sich neu kennen. Das ist die Natur der Freundschaft. Das ist es, was wir gerade erleben.“

„Du hast mir so gefehlt, Papa, aber du hast mir beigebracht, für die Schwächeren einzustehen. Verzeih mir, dass ich es dir nicht gesagt habe.“

„Il faut du courage. Encore une dernière fois. Nur noch ein letztes Mal Mut.“

Klaras Schweigen (Bettina Storks, 2021 – Diana Verlag)

Klaras Schweigen (Bettina Storks, 2021 – Diana Verlag)

„Alles bleibt ein Teil von uns.“

Liebe, Hass, Unterdrückung und Mut – all das hat die 90-jährige Freiburgerin Klara Schilling im und nach dem Krieg durchlebt. Nach einem Schlaganfall findet sie nur schwer ihre Sprache wieder und die ersten Worte, die ihr über die Lippen kommen, sind ausgerechnet Französisch. Eine Sprache, von der ihre Enkelin Miriam dachte, dass Klara diese niemals erlernt hätte.

Miriam ist Mitte vierzig und wurde von ihren Großeltern großgezogen, da ihre Eltern bei einem Autounfall tödlich verunglückt sind. Sie unterrichtet an der Universität in Freiburg Literatur und pflegt ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Großmutter und ihrer Großtante Lotte, der jüngeren Schwester von Klara. Miriam freut sich sehr, als ihre Großmutter wieder zu sprechen beginnt, wundert sich jedoch zum einen über die Sprache und zum anderen darüber, dass Klara einen französischen Namen, Pascal, immer wiederholt. Da sie weder von Klara noch von Lotte Informationen erhält und bei letzterer durchaus auf Ablehnung stößt, beginnt sie selber nachzuforschen. Unterstützt wird sie dabei von ihrer besten Freundin Pia, die sie auf eine Reise zu sich selbst und ihrer Familiengeschichte schickt, bei der es sie auch ins entfernte Saint Malo führt …

Der Roman spielt zum einen Teil in der Gegenwart (2018), zum anderen Teil aber auch in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Abwechselnd taucht der Leser in Miriams Suche nach Antworten und in Klaras Vergangenheit ein, wobei sich mit der Zeit Fragen, Probleme und Antworten auftun. Beim Lesen wird man in die Probleme der Nachkriegszeit eingeführt und zusammen mit Miriam erfährt man, zu was die Menschen aus gesellschaftlichen Gründen zum Teil gezwungen waren und wie sich das auf Familien ausgewirkt hat.

Ich persönlich habe beim Lesen die unterschiedlichsten Gefühle gespürt. Manchmal habe ich es gehasst, wie sich die Charaktere verhalten haben, mal gezwungenermaßen, mal auch aus freien Stücken. Aber dann habe ich auch geliebt, wie stark die Frauen aus ihren Problemen hervorgegangen sind, wie sie sich gegenseitig unter die Arme gegriffen haben und für das wirklich Wichtige gekämpft haben. Bettina Storks hat es geschafft, mich zum Weinen, zum Lachen, zum Verzweifeln und zum Lieben zu bringen und das Leseerlebnis war großartig! Gerade am Ende war ich überwältigt von meinen Gefühlen, denn ich habe das Buch mit einem weinenden und einem lachenden Auge beendet und der Kern der Geschichte geht mir noch lange nach dem Lesen nicht aus dem Kopf.

Ich empfehle diesen Roman grundsätzlich allen! Aber vor allem diejenigen, die historisch interessiert sind und selber gerne miträtseln werden ihn lieben, es ist einfach eine schöne Geschichte, die einen berührenden Touch zur Wahrheit hat.

Lena

Was hättet ihr an Klaras Stelle gemacht, als sie plötzlich ganz allein dastand? Und wie glaubt ihr, hättet ihr reagiert, wenn ihr den Brief von Miriams Großvater gefunden hättet? Schreibt es in die Kommentare! 😊

Weitere Bücher von Bettina Storks: Leas Spuren (Bettina Storks; 2019 – Diana-Verlag), Das geheime Lächeln (Bettina Storks; 2018; Diana-Verlag)